Die vier Gedanken

Als Buddhisten gehen wir oft davon aus, dass alles durch Übung und Schulung zu bewerkstelligen ist; tatsächlich benötigen wir jedoch einen geeigneten Startpunkt. Du kannst nicht einfach irgendwo beginnen. Eine gewisse buddhistische Orientierung muss bereits vorhanden sein, ansonsten könnte das ganze Unternehmen zu einer Art Fantasie werden. Es ist absolut notwendig, dass du in der Lage bist, angemessenen mit der Welt umzugehen, und nicht voller fixer Ideen bist, die dich hypnotisieren und es dir unmöglich machen, eine Art Weitblick zu haben. Dann beginnst du den Dharma zu sehen und zu schätzen. Am Anfang des Pfades musst du einen gewissen Weitblick haben, aber es gibt Raum für Entwicklung. Im Hinayana beginnst du damit, ein menschliches Wesen zu sein und die Schmerzhaftigkeit der Existenz wahrzunehmen, sowie das Gefühl, die wirkliche Überzeugung, dass es etwas mehr im Leben geben muss als die gewöhnliche Erfahrung von Tag zu Tag, dass das Leben eine offene Qualität hat. Indem du mit dem Eindruck von Schmerz beginnst, gibt es eine Suche nach einer bestimmten Bedeutung, eine weitere Vision, die den Schmerz in einen Kontext bringt. Wenn du im Mahayana übst, dann ist die notwendige Vorbereitung, dass du dich mit diesem Schmerz verbunden hast.
Die gewöhnlichen vorbereitenden Übungen zu jeder Art von Dharma, die die Vorbereitungen für das Hinayana, das Mahayana und das Vajrayana umfassen, werden die Vier Gedanken genannt, die Vier Gedanken, die das Herz berühren.
Der erste Gedanke heißt auf Tibetisch del-jor, d.h. das menschliche Leben. Del-jor bedeutet Freiheit und Gelegenheit, wahrlich menschliche Existenz, in der der “wahrliche” Aspekt der menschlichen Existenz in Richtung Dharma orientiert ist. In dieser wahren Weise ein menschliches Wesen zu sein, ist sehr grundlegend; letztlich musst du zu dieser Vision und Inspiration werden.
Zweitens gibt es immer das Wissen, dass du sterben könntest. Es scheint irgendwie unfair. Du beginnst mit dem Pfad und fühlst dich sehr inspiriert davon, aber dann könntest du eine tödliche Krankheit bekommen oder in einem Auto mit einem schlechten Fahrer sitzen und einen tödlichen Unfall erleiden. Oder du könntest überfahren werden und dabei sterben oder auch scheinbar grundlos sterben. Es gab eine wunderbare Welt, die sich vor dir ausbreitet und der Tod scheint damit nicht in Kontakt zu stehen. Die Tatsache, dass der Tod jederzeit möglich ist, bedeutet, du kannst dir nicht erlauben, auf dem Pfad Zeit zu verlieren. Die zweite Wahrheit oder, wenn man so will, die zweite Veränderung des Herzens, die du nicht vergessen darfst, ist also die Bedeutsamkeit der Vergänglichkeit und des Todes.
Der dritte Punkt ist, dass deine Handlungen von Bedeutung sind. Du solltest andere nicht unterdrücken, denn die anderen sitzen mit dir im selben Boot. Entweder wollen sie den Dharma verwirklichen, wenn sie Praktizierende sind, oder sie erkennen vielleicht nicht, dass es da etwas zu verstehen gibt. Aber sie suchen durchaus nach Glück für sich selbst und sind dabei nicht sehr geschickt; oder wenn sie damit in diesem Leben Erfolg zu haben scheinen, heißt dies nicht, dass ihre jetzigen Taten sie in der Zukunft glücklich machen werden. Darin liegt eine Traurigkeit. Obwohl man eine Dharma Person ist, ist man vielleicht keine hundertprozentige Dharma Person und benimmt sich immer noch töricht und schlecht im Umgang mit anderen und sich selbst. Deshalb ist es gut, den dritten Gedanken im Gedächtnis zu behalten. Er hat mit Karma zu tun, was wörtlich einfach Aktion bedeutet. Du brauchst nicht daran zu denken, wie du positive und negative Handlungen ins Gleichgewicht bringen kannst, sondern denke einfach an die Handlungen, die du ausführst und wie diese andere Wesen und dich selbst belasten.
Der vierte Gedanke ist die Tatsache, dass die gesamte bedingte Existenz im Allgemeinen schmerzhaft ist. Um Dharma zu üben, muss man zu einem bestimmten Ausmaß von den Zwängen des Schmerzes frei sein. Wenn man zu überwältigt ist vom Schmerz der bedingten Existenz, zu gequält vom Schmerz, kann man nicht praktizieren. Aber wenn eine gewisse Lücke vorhanden ist, kannst du wahrnehmen, welcher Schmerz da ist und sich noch entwickeln kann. Dann erkennst du die absolute Notwendigkeit, zu helfen – nicht nur dir selbst, sondern auch anderen. Es ist ein Verstehen von Duhkha, des Feuers von Duhkha, der Sinnlosigkeit des Kreislaufs der Existenz, des Feuers von Geburt und Tod – all dies ist schmerzhaft.
Dies sind also die vier Gedanken: der erste ist die Tatsache, dass du in Reichtum geboren wurdest und diese Gelegenheit für den Dharma nutzen musst – zu deinem Wohl und dem der anderen. Der zweite ist, dass du sterben wirst. Der dritte ist, dass es eine Rolle spielt, was du tust. Und viertens sind dein Geist, dein Körper und deine Umgebung unbefriedigend und schmerzhaft; und dies ist das Schicksal von allen. Zum Glück erklärt uns der gesamte restliche Dharma, was wir dagegen tun können!

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