Wie man meditiert

Hier folgt die überlieferte Anleitung zu der höchst grundlegenden und ebenso tiefgründigen Praxis der formlosen Meditation. Es gibt drei Aspekte der Praxis: Der Aspekt Körper oder die körperliche Haltung, der Aspekt Rede (Atem) und der Aspekt Geist. Sie werden jeweils der Reihe nach behandelt.

KÖRPER

Nimm eine bequeme, wache und entspannte Haltung ein.

Sitze auf einem Kissen mit gekreuzten Beinen oder kniend auf einem Meditationsbänkchen, oder wenn das am angenehmsten ist, benutze einen Stuhl (mit harter Rückenlehne, z. B. einen Küchenstuhl). Wähle ein Kissen oder einen passenden Stuhl.

Entspanne deine Schultern, aber bleibe aufrecht genug sitzen, um zu spüren, wie du mühelos und uneingeschränkt atmest.

Lasse deine Hände auf den Oberschenkeln ruhen, mit den Handflächen nach unten, und bleibe mit dem Körper dabei offen und entspannt.

Schließe deine Augen nicht ganz, lasse sie aber auch nicht völlig offen, und erlaube dem Blick, ungefähr einen Meter vor dir auf dem Boden zu ruhen.

Falls wirklich Schmerzen auftreten, bleibe damit lange genug sitzen, um zu spüren, was vor sich geht, und bewege dich dann sanft in eine angenehmere Position.

Gelli-Faia-2014-2-e1425389763991

REDE (Atem)

Folge dem natürlichen Rhythmus deines Atems. Egal, ob er schnell oder langsam ist, versuche ihn keinesfalls zu verändern. Verweile mit dem Geist beim Rhythmus des Atems, und lasse allmählich auf natürliche Weise in den Raum hinein los.

Richte dich auf ein Gefühl von Wohlergehen und Raum aus. Öffne dich jeder Erfahrung, welche auch immer auftauchen mag, indem du ihr Raum gibst, sie da sein lässt, und im weiten Raum der Bewusstheit ruhst.

Wenn du ausatmest, lass‘ in das Empfinden von Raum, Weite und Offenheit hinein los. Mit dem Ausatmen ist Bewegung verbunden und dann ein ruhiges, entspanntes sich Auflösen in den Raum. Lass‘ das Einatmen von selbst geschehen.

Bemerke den Rhythmus von Verweilen und Fokussieren. Ebbe und Flut der Praxis zeigen sich im Wechsel zwischen dem Gefühl der Bewegung beim Ausatmen und der Einsicht ins Raumgefühl, mit einem Gefühl der Ruhe nach jedem Ausatmen.

Anfangs ist es gut, dich immer wieder dazu anzuhalten, zum Rhythmus des Ausatmens zurückzukehren. Dies diszipliniert gewissermaßen den Geist und hält ihn davon ab, einfach seinen gewohnten Bahnen zu folgen.

Wenn du dich angespannt oder kurzatmig fühlst, höre einfach einige Momente auf zu meditieren. Du musst dazu nicht aufstehen oder die Haltung ändern.

GEIST

Empfinde Vertrauen in Offenheit, Klarheit und Feinfühligkeit – einer großen Offenheit für das Gefühl der grenzenlosen Weite deiner wahren Natur.

IMG_01151-1150x863

Ruhe in dem Gefühl, dass du beim Üben absolut das Recht hast, jetzt hier zu sein. Versuche nicht mit dem Denken aufzuhören, das wird dir nicht gelingen, und darum geht es hier auch nicht.

Heiße Gedanken, Gefühle, Empfindungen, ob angenehm oder nicht, alles, was auch immer kommen mag, als Gäste willkommen.

Erkenne sie, schmecke ihr Aroma – spüre, was sie sind, dann lass‘ sie weiterziehen und kehre zum Ausatmen zurück.

Falls du sie für eine Unterbrechung deiner Meditation hältst, erkenne diese Idee als weiteren Gast und lass sie los.

Kommentar

Es ist wichtig, regelmäßig zu üben und dir täglich speziell Zeit für die Praxis zu nehmen. Für die Meditation wird keine bestimmte Tageszeit empfohlen. Du musst herausfinden, was in deiner Situation am besten passt. Es ist gut, die formlose Meditation eine Stunde lang täglich zu üben, und am Anfang solltest du nicht darüber hinausgehen. Du kannst mit zwanzig Minuten oder einer halben Stunde täglich beginnen, um dir die Möglichkeit zu geben, dich richtig mit der Praxis zu verbinden. Es ist wesentlich besser, lieber täglich etwas zu meditieren, als beispielsweise alles in ein Wochenende zu packen, obwohl du natürlich etwas mehr üben kannst, wenn du mehr Zeit übrig hast. Tibeter schätzen, was sie Stabilität nennen, und meinen damit Beharrlichkeit. Du könntest dich für jemand halten, der nicht sonderlich gut meditiert, aber wenn du Ausdauer hast und dabei bleibst, sind das bereits Anzeichen dafür, dass du gut praktizierst. Das Wichtigste an der Praxis ist es, konsequent zu üben, dich kontinuierlich zu bemühen auf einem Level, das für dich angemessen ist.

Wenn wir uns auf die Praxis der formlosen Meditation einlassen und besser in der Lage sind, uns mit unseren Erfahrungen zu verbinden, dann mögen wir tatsächlich ruhiger und ausgeglichener werden. Aber aus buddhistischer Sicht ist das nur ein Nebeneffekt.

Gelli-Faia-2014-e1425389352980-300x163

Der Zweck dieser Meditation ist einfach, sich mit einem Gefühl von Raum und Weite zu verbinden, so dass durch die Entwicklung von Bewusstheit eine Art Einsicht oder Vision entstehen kann, die mit der Entdeckung der Natur unserer Erfahrung verbunden ist. Wenn wir etwas von der Natur unseres Geistes entdecken, dann erkennen wir auch etwas von der Natur der Welt und der Natur anderer Menschen.

Obwohl dies eine Meditation für Anfänger ist, ist sie nicht nur eine Anfängermeditation, denn sie bringt Implikationen mit sich, die mit vollständigem Erwachen verbunden sind. Auf der höchsten Stufe des Buddhismus, auf der Stufe des Maha-Ati, der Großen Vollendung, ist die Praxis in gewisser Weise der formlosen Meditation bemerkenswert ähnlich. Auf dieser Stufe übst du nicht mehr Meditation, sondern wie Trungpa Rinpoche sagte, “Du wirst die Meditation”. Dein Geist ist einfach Bewusstheit und Offenheit.

Übertragen und bearbeitet aus Meditation und Achtsamkeit (Schlüssel zu innerem Vertrauen) von Rigdzin Shikpo.

Neu bei der Meditation?
Wenn du das erste Mal meditierst, dann mach dir bitte klar, dass Meditation, wie jedes kraftvolle Mittel, Zeit und Anleitung braucht, um sie zu meistern. Es gibt allerlei Fallstricke auf dem Übungsweg. Wenn du regelmäßig meditieren möchtest, ist es ratsam, eine qualifizierte buddhistische Meditationslehrerin oder einen Meditationslehrer zu finden, um dich anzuleiten.

Kommentare sind geschlossen.