Große Wonne jenseits gewöhnlichen Freuds und Leids

Alles durchdringende Feinfühligkeit ist eine besondere Aufgeschlossenheit für Schmerz und Freude ohne Projektionen; dies ist „Große Wonne“ (Mahasukha). Das Problem mit dem Begriff „Große Wonne“ ist, dass er sich wie ein großspuriger Name für eine Intensivierung der gewöhnlichen Empfindung von Vergnügen anhört; aber es wäre ein großer Fehler zu denken, damit sei lediglich gemeint, dass alles zu einer Art seichter Vergnügungsreise werde. Große Wonne bedeutet wirklich, dass du den Zustand überschritten hast, in die Ablehnung gelenkt zu werden, weil du Schmerz erleidest oder in die Anziehung gelenkt zu werden, weil du Angenehmes genießt. Freud und Leid wurden transformiert, du erlebst sie nun auf eine andere Weise, du reagierst anders darauf und handelst auch anders.


Als Trungpa Rinpoche im Krankenhaus war und im Sterben lag, schien er sehr viel Leid zu erfahren. Er versuchte z. B. die Schläuche, die in seinem Körper waren, loszuwerden. Tibetische Lamas sagen Dinge wie: „Große Lehrer empfinden keinen Schmerz, weil sie das Ego überschritten haben.“ Aber Rinpoche hatte mir schon früher einmal erklärt, dass es ein Fehler war zu denken, eine auf dem Pfad entwickelte Person würde keinen Schmerz empfinden. Dem Pfad zu folgen bedeutet nicht, sich selbst abzutöten. Er sagte, dass eine solche Person in gewisser Weise sogar mehr Schmerz empfindet und nicht etwa weniger, weil sie den Schmerz klar und intensiv erlebt. Der Grund dafür, dass Lamas solche Aussagen machen und den Pfad nicht ganz direkt erklären als etwas, was schwer ist, herausfordernd und schmerzhaft, liegt darin , dass sie die Menschen nicht vom Dharma vertreiben wollen. Dieser Ansatz mag für den durchschnittlichen tibetischen Laien-Praktizierenden passen, aber für den engagierten Praktizierenden im Westen ist er wohl kaum angebracht. Der wirkliche Grund dafür, Dharma zu praktizieren, ist die Erkenntnis, dass Wahrheit darin liegt, du dich mit dieser Echtheit verbinden willst und dir in gewissem Sinne klar ist, dass es nichts anderes für dich zu tun gibt.


Trungpa Rinpoche sagte also, dass du auf dem weiteren Pfad Schmerz stärker empfinden wirst, aber du erfährst ihn nicht auf klaustrophobische Weise. Schmerz auf klaustrophobische Weise zu erleben, bedeutet, dass du ihn sozusagen gar nicht klar erlebst, weil du einige seiner Aspekt ausschaltest, wie z.B. seine riesige Weite; d.h. du bekommst die Inspiration nicht, die im Schmerz liegt. Beim klaustrophobischen Schmerz kannst du dein Ego behalten, und das scheint dir wichtig, weil sich das Loslassen deines Ego wie Vernichtung anfühlt. Ein Großteil des buddhistischen Pfades besteht aus dem Versuch, den Schmerz so weit wie möglich bloßzulegen, damit du schließlich erkennst: „Es ist dumm, einfach an der Art und Weise, wie ich bin, festzuhalten. Vielleicht kann ich einfach loslassen.“ Der Buddha sagte: „Ich lehre nur zwei Dinge, Duhkha (Schmerz) und das Aufhören von Duhkha.“ Und damit meinte er nicht: „Ich bin ein richtiger Pessimist und werde euch jetzt erklären, wie schlecht alles ist.“ Er sagte vielmehr: Wenn du die Dinge immer klarer erfährst, beginnst du zu erkennen, dass das Ego absolut zu beanstanden ist. Letztlich wirst du mit der Wahl zwischen zwei krassen Gegensätzen konfrontiert: Entweder du erlebst überwältigenden Schmerz oder du lässt das Ego los.


Frage eines Schülers:

„Ist es so, dass man letztlich den Schmerz intensiver erlebt, aber irgendwie davon distanziert ist“?


Rigdzin Shikpo:

„Es ist eher so, dass du keinen Raum mehr hast, den Schmerz noch als etwas zu erleben, was in dich eindringt. Große Lehrer haben gesagt, dass das Gefühl von Ego oder einem Selbst sich in den kleinen, ständig auftretenden Lücken der Erfahrung versteckt. Du trittst in den Lücken sozusagen geistig weg und das Ego lebt in eben diesen Lücken der geistigen Abwesenheit. Auf diese Weise überlebt es. Es ist fast so, als ob das Ego in den Lücken Urlaub mache. Und wenn du aus der Lücke herauskommst, kommst du aus der Flucht vor dem Schmerz heraus und daher ist der Schmerz wieder da. Es ist wie ein natürlicher Prozess, bei dem man in den Schmerz gezwängt wird, dann daraus herauskommt und dann wieder im Schmerz ist usw. Wenn deine Erfahrung kontinuierlicher ist, vermagst du dich für die Erfahrung, so wie sie ist, in echter Weise zu öffnen, ohne kleine Lücken zu brauchen, in denen du dich immer wieder verstecken kannst. Um deine Frage zu beantworten: Ich bin nicht sicher, ob man das wirklich Distanziertheit nennen kann; es ist eher so, dass sich der gewöhnliche Eindruck von Ego aufgelöst hat und nicht so, als habe man sich von irgendetwas distanziert. Dies ist die Bedeutung von Großer Wonne, die lebendige und überwältigende Erfahrung der Feinfühligkeit ohne Ego, die du erleben kannst, wenn du Schmerz erfährst oder wenn du Freude erfährst; da ist kein Unterschied“.

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